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PFAS-Verbot: Medizinische Versorgung in der EU steht auf dem Spiel

Fluorpolymere sind einzigartige Hochleistungswerkstoffe. Nun droht das Verbot, obwohl es für die Medizintechnik keine Alternative gibt. Menschenleben stehen auf dem Spiel. Laut dem Entwurf für eine umfassende Beschränkung von per- und polyfluorierte Alkylsubstanzen (PFAS) sollen in der europäischen Union (EU) mehr als 10.000 verschiedene Stoffe verboten werden, von denen viele jedoch unverzichtbar und aktuell in der Medizintechnik auch alternativlos sind. Es ist zu erwarten, dass das Verbot bereits 2026 mit 18-monatiger Übergangsfrist in Kraft treten wird. Diese Regulierung würde der europäischen Medizintechnik und damit der Patientenversorgung mit mehr als 100.000 Medizinprodukten einen massiven Schaden zufügen – von enormen Auswirkungen auf die Patientensicherheit über die Behandlungsfähigkeit bis hin zur Innovationsfähigkeit der Branche. In der Gesundheitsbranche haben wir in der EU erst kürzlich schmerzhafte Erfahrungen mit den Auswirkungen der Medizinprodukteverordnung (MDR) gemacht. Ein so weitreichendes PFAS-Verbot würde dies noch weit übertreffen.

Sinnvolle Regulierung statt Massenverbot ganzer PFAS-Stoffgruppen

Der gut zweitausend Seiten umfassende Entwurf wurde im Januar 2023 von Umweltbehörden aus fünf EU-Mitgliedsstaaten bei der Europäischen Chemikalienagentur (ECHA) eingereicht und damit der Beginn eines Beschränkungsverfahrens unter REACH eingeleitet. Dabei handelt es sich nicht um ein „reguläres“ EU-Gesetzgebungsverfahren, das politische Positionierungen der Kommission, des Rates und des Parlaments ermöglicht, sondern um „sekundäre Rechtssetzung“ im sogenannten Ausschussverfahren. Der Rat und das Parlament werden hier erst zum Ende des Verfahrens und nur formal eingebunden. Deren Einspruchsrecht ist somit sehr begrenzt. Europa ist gut beraten, bei PFAS eine Vorreiterrolle einzunehmen und wo immer möglich auf Ersatz hinzuarbeiten. Im Rahmen einer nachhaltigen Chemikalienregulierung sollten Stoffe, die aufgrund ihrer Eigenschaften und ihres Verwendungsprofils unbeherrschbare Risiken darstellen, auf der Grundlage wissenschaftlicher Bewertungen eingeschränkt oder reguliert werden. Wir als Unternehmen und die Branchenverbände der Medizintechnik lehnen jedoch eine breite Regulierung ganzer Stoffgruppen unabhängig von einem nachgewiesenen Risiko in der Nutzungsphase entschieden ab.

PFAS-Verbot in der EU lässt medizinische Versorgungssicherheit außer Betracht

Die Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (OECD) stuft eine für uns wesentliche Untergruppe der Fluorpolymere als "unbedenkliche Polymere " ein. Medizinprodukte müssen ein günstiges Nutzen-Risiko-Verhältnis und solche mit Körperkontakt zusätzlich ihre Biokompatibilität nach ISO 10993 nachweisen. Die Autoren des Beschränkungsvorschlags scheinen eine Risikobewertung durch eine risikounabhängige Attributkennzeichnung zu ersetzen. Dieses Attribut heißt "Persistenz", also ihre Haltbarkeit, ihre Langlebigkeit und Beständigkeit am und im menschlichen Körper oder in der Umwelt. Lautstarke Gegner werten PFAS deshalb als "Ewigkeitschemikalien" ab, doch für die Medizintechnik sind Fluorpolymere und Fluorelastomere Hochleistungswerkstoffe, die in den letzten Jahrzehnten entscheidende Fortschritte ermöglicht haben – ohne sie würde es heute zum Beispiel keine minimalinvasiven Operationen geben.

Von Endoskopen bis zu MRTs: der von der ECHA empfohlene Weg riskiert Menschenleben

In der Medizintechnik werden Fluorpolymere seit Jahrzehnten mit hoher Zuverlässigkeit verwendet, sie machen die moderne Medizin sogar erst möglich. Aktuell gibt es für Hochleistungsanwendungen in der Regel keinerlei Ersatzstoff, weshalb etliche Produkte nicht mehr hergestellt und folglich in der Medizin nicht mehr verwendet werden könnten. Dazu zählen die Felder: Endoskopie, minimalinvasive Chirurgie oder interventionelle Radiologie im Allgemeinen, Medizinprodukte wie Anästhesiegeräte, Inkubatoren für Neugeborene, Herz-Lungen- oder Dialysemaschinen, Implantate wie Herzschrittmacher, Stents oder Gelenke, aber auch Produkte mit Blutkontakt oder Verpackungen für Medizinprodukte, die steril in den Verkehr gebracht werden. Die Liste ist viel länger und reicht von chirurgischen Hilfsmitteln, Nahtmaterial, Kathetern und Kontaktlinsen bis hin zu bildgebenden Geräten wie MRT, CT oder Ultraschall.

PFAS-Verwendung am Beispiel des minimalinvasiven Resektoskops

291.096 durchgeführte Eingriffe in Deutschland 2021

Fluorpolymer-Komponenten

1. Glasfasern, gleitfähige ETFE-Ummantelung

2. Beweglicher Schlitten (weiß), PTFE-Vollmaterial für eine feinmotorisch präzise Schnittführung

3. Hülsen (gelb) zur elektrischen Isolierung, PTFE, 20kV/mm Durchschlagsfestigkeit

4. Linsen: Beschichtungsprozess erfordert Vakuum (PFAS)

 

Medizinische Indikationen

  • Entfernung von Blasentumoren
  • Abtragung der gutartig vergrößerten Prostata
  • Gebärmutter: Polypen-, Myom-, Endometriumresektion oder -ablation
  • Uterusfehlbildungen: Metroplastiken oder Septumresektionen
  • Reparatur der Kaiserschnittnarbe

Zu kurze Übergangsfristen und aufwendige Ausnahmeanträge

Der von der ECHA empfohlene Weg, verlängerte Übergangsfristen mit aufwendigen Belegen zu erwirken, ist ungewiss und löst bei der Breite an betroffenen Produkten in keiner Weise die Probleme komplexer Lieferketten, fehlender Alternativen oder die Herausforderung innerhalb von sechs Monaten während des Konsultationsverfahrens eine Evidenz zu allgemein bekanntem Erfahrungswissen schaffen zu können. Das oben dargestellte Resektoskop und viele weitere Produkte wären davon massiv betroffen.  Hinzukommt eine sehr kurze Übergangszeit von nur 18 Monaten bevor das Verbot umfassend greifen soll. Vollkommen unzureichend bei typischen Entwicklungs- und Einführungszeiten von fünf bis zehn Jahren. Und das greift nur, wenn Ersatzmaterialien bereits verfügbar sind. Sind diese nicht vorhanden und für medizinische Anwendungen validiert, verlängert sich der Zeitraum um ein Vielfaches. Verlängerte Übergangsfristen sind derzeit etwa nur für Implantate, Katheter oder Schläuche vorgesehen.

Initiative gegen das generelle Verbot

Es ist unser Ziel, schwerwiegenden Schaden von den Patientinnen und Patienten abzuwenden, bevor es zu spät ist und eine Regulierung zu erreichen, die den Menschen dient und die nicht ideologisch getrieben ist, unsere Gesellschaft zerreißt und die EU im harten internationalen Wettbewerb ins Aus schießt. Über den Industrieverband SPECTARIS und als Unternehmen haben wir uns daher an der öffentlichen Konsultation beteiligt und führen zahlreiche Gespräche auf allen Ebenen.